"Nachhaltigkeit" braucht eine Schärfung
- Marco Wichert

- 3. Aug.
- 6 Min. Lesezeit
Seit Jahren in aller Munde und fast schon inflationär in Philosophien und Werbesprüchen verwendet, begegnet uns das Wort "Nachhaltigkeit" so gut wie jeden Tag. Für viele ist der Begriff schon längst von einem Fachbegriff zu einem Kulturbegriff oder sogar Modewort mutiert. Aber wissen viele denn überhaupt, was Nachhaltigkeit überhaupt bedeutet? Ist es einfach übergreifendes Wort für das Marketing oder steckt eine gewisse Vielschichtigkeit dahinter? Gibt es auch negative Nachhaltigkeit? Brauchen wir eine Schärfung? Befindet sich das Wort Nachhaltigkeit am Wendepunkt?
Liegt es in der Absicht oder an der Sprache selbst?

Die eigentliche Definition des Wortes "Nachhaltigkeit"
Nachhaltigkeit bedeutet in seiner linguistischen Bedeutung eigentlich "eine lange Wirksamkeit haben" oder "in einer anhaltenden Wirkung resultieren". Nachhaltigkeit an sich bedeutete ursprünglich nicht, Umweltfreundlichkeit oder gesellschaftliche Verantwortung zu adaptieren. Daher gehe ich mit dem Begriff Nachhaltigkeit, wie er heute verwendet wird, auch etwas schärfer ins Gericht. Viele Geschehnisse können einen anhaltenden Effekt oder Wirkung haben, ohne einen direkten Kontext zur Ökologie aufzubauen. Natürlich soll die neue Richtung der Welt auch eine Begrifflichkeit nutzen, um die Vermittlung einfacher zu gestalten und einen Wiedererkennungswert aufzubauen, aber ist ein allseits übergreifendes Wort die perfekte Lösung für ein so derart komplexes Thema?
Gibt es auch negative Nachhaltigkeit?
Wenn man die wortwörtliche Definition von Nachhaltigkeit ins Verhältnis setzt, so ist Nachhaltigkeit nicht nur positiv zu betrachten, sondern kann auch negative anhaltende Wirkungen bedeuten. Anbei drei Beispiele:
Szenario 1: Ein Öltanker hat eine Havarie im Meer oder in einem Kanal. Tausende von Litern an Rohöl geraten in das saubere Meerwasser und gefährden somit das bislang gesunde Ökosystem, sprich die Flora und Fauna. Das Wasser ist verseucht und mit langanhaltender Wirkung. Das Ökosystem kann sich somit nicht regenerieren und die Havarie hatte einen negativ nachhaltigen Effekt.
Szenario 2: Eine Person gerät in einen Unfall und liegt im Krankenhaus. Am nächsten Tag erfährt sie vom behandelnden Arzt, dass sie querschnittsgelähmt ist und sich für den Rest des Lebens in einem Rollstuhl bewegen muss. Der Unfall ist somit ein Ereignis, welches einen negativen anhaltenden Effekt nach sich zieht.
Szenario 3: Eine Person wird in ihrem Umfeld gemobbt, diskriminiert, beleidigt und isoliert. Dadurch erleidet die Person eine psychische Depression und somit geistigen Schaden, der langfristig in der Erinnerung bleibt. Das kann beispielsweise in der Kindheit passieren, was sich aber bis ins Erwachsenenalter nicht aus dem Gedächtnis löschen lässt. Somit ist das Mobbing der Auslöser bzw. die Ursache für eine nachhaltig negative langanhaltende Wirkung.
Warum wird negative Nachhaltigkeit hier erwähnt?
Es geht um die Verwundbarkeit des Begriffs und der vielfältigen Verwendung dessen. Sachlich steht Nachhaltigkeit für Ursache und langfristige Wirkung. Gerade die Industrie verwendet den Begriff sehr oft und pauschal. Aber ist Nachhaltigkeit gleich Nachhaltigkeit? Gibt es Unterschiedliche Intentionen?
Nachhaltigkeit in der heutigen Zeit
Nachhaltigkeit wird in der heutigen Zeit als durchweg positiv gesehen und wird von der Gesellschaft oft mit "umweltfreundlich" oder "ressourcenschonend" gleichgesetzt. Aber Nachhaltigkeit, wie sie heute behandelt wird, beinhaltet drei Dimensionen. Dies geht über den einbahnigen Weg der Umweltfreundlichkeit hinaus.
Ökonomisch Nachhaltig: Die Bewahrung von vorhandenen Ökosystemen und der natürlichen Ressourcen, und die Erzielung eines ökologischen Gleichgewichts steht für ökologische Nachhaltigkeit. Die Reduzierung des CO2 Fußabdrucks, energie-effizienteres Arbeiten, die Wiederverwendung von Materialien sind nur einige wenige Beispiele.
Sozial Nachhaltig: Ökonomisch nachhaltig zu wirtschaften bedeutet dein Unternehmen langfristig am Markt zu halten und entsprechend Gewinn zu erwirtschaften, um Arbeitsplätze zu sichern und eine gleichbleibende Produktqualität zu gewährleisten. Dazu zählt die Implementierung von effizienten Prozessen und Systemen. Auch die Revision der Produkte und eine Anpassung an den Markt sind Beispiele.
Ökologisch Nachhaltig: Soziale Nachhaltigkeit bezieht sich auf die Arbeitsbedingungen des Unternehmens sowie die organisatorische Kultur und Struktur, und ein gesundes Gehaltsgefüge. Ebenso sind Entwicklungsmöglichkeiten für Mitarbeitende und das Arbeitnehmer-Erlebnis, analog zum Kundenerlebnis zu betrachten. Inklusion ist ein weiterer wichtiger Faktor.
Zwischen Schlagwort und Substanz
Die inflationäre Nutzung des Nachhaltigkeitsbegriffs „Nachhaltigkeit“ ist längst mehr als ein Fachbegriff. Es ist ein Kulturbegriff geworden, der für alles Gute stehen soll: ökologische Verantwortung, soziale Gerechtigkeit, wirtschaftliche Weitsicht. Diese universelle Aufladung hat allerdings einen Preis: Die konkrete Bedeutung verschwimmt.
Nachhaltigkeit wird zu pauschal und oft genutzt
Gerade für das Marketing von Unternehmen wird der Begriff "Nachhaltigkeit" sehr oft verwendet. Gefühlt taucht das Wort "Nachhaltigkeit" überall auf, ob in den Medien oder im Munde vieler. Kaum eine Unternehmenspräsentation, Produktverpackung oder Vision-Statement, das ohne diesen Begriff auskommt – und doch wird selten klar, was damit eigentlich gemeint ist.
Während der Begriff aufgeladen ist mit Hoffnung, Verantwortung und Zukunft, bleibt seine Verwendung oft vage oder strategisch verkürzt. Einige können den Begriff nicht mehr hören und ignorieren ihn komplett aufgrund der Verwirrung und pauschalen Nutzung.

Nachhaltigkeit als Modewort
Nachhaltig hier, nachhaltig da. In den letzten Jahren ist die Nutzung des Wortes immens gestiegen. Gerade im Marketingbereich wird es gern und oft verwendet, um ein Zeichen an den Markt zu senden und somit neue Kunden zu gewinnen und Zielgruppen anzusprechen. Schwierig wird es, wenn der Begriff – wie es häufig geschieht – zur reinen Etikette wird, ein Marketinginstrument ohne inhaltliche Tiefe. Die Folge: Glaubwürdigkeit geht verloren, Dialoge werden oberflächlich, und substanzielle Ziele geraten in den Hintergrund.
Fraglich ist auch, ob eine Unternehmensausrichtung wirklich auch ein Umdenken in der Gesellschaft bewirken kann. Denn ohne ein Umdenken dort wird kein Effekt erzielt werden. Das Reise- und Konsumverhalten der privaten Haushalte zeigt gefühlt keine großartigen Änderungen, da kein Wille zu möglichem "Verzicht" vorhanden ist. Es werden günstige Urlaubsreisen gebucht, Kreuzfahrtschiffe erfreuen sich immer noch großer Beliebtheit ähnlich wie Flugreisen. Der Fleisch- und Zuckerkonsum ist weiterhin hoch und der Fokus auf Billigprodukte aus dem fernen Ausland erlebt einen Boom. Gleichzeitig predigt man jedoch einen nachhaltigen Lebensstil. Bezogen auf die heutige Verwendung des Begriffs ist dies ein Paradoxon.
"Vom Fachbegriff um Modewort, Kulturbegriff und Feel-Good Wort"
Keine transparente Intention, keine Differenzierung
Die normative Aufladung des Begriffs als etwas grundsätzlich Gutes oder Erwünschtes ist also historisch und kulturell gewachsen – nicht in der Sprache selbst angelegt. Das führt zu einer Begriffsspannung: zwischen dem neutralen Ursprungsverständnis und der moralisch aufgeladenen Erwartung. Durch die pauschale Nutzung am Markt und in der Politik verschwimmt die Bedeutung des Begriffs "Nachhaltigkeit". Das Thema ist sehr komplex und somit schwer in einem Wort zusammen zu fassen. Die oben genannten Dimensionen gliedern zwar den Fachbegriff in weitere Bereiche, jedoch wird über die eigentliche Intention des nutzenden Unternehmens wenig berichtet.
Was möchte das Unternehmen durch die nachhaltige Strategie bewirken?
Welche Dimensionen werden behandelt und gefördert?
Warum wird eine nachhaltige Richtung überhaupt eingeschlagen?
Nachhaltigkeit braucht eine Schärfung
Grundlegend wäre eine Erweiterung des Begriffs "Nachhaltigkeit" denkbar und die Darstellung der eigentlichen Intention, denn nicht jedes "nachhaltige" Handeln hat dieselbe Absicht. Jedes Unternehmen und jeder private Haushalt hat eine eigene Definition und Intention von Nachhaltigkeit. Diese sollte sichtbar gemacht werden.
Bewahrende Nachhaltigkeit
Ziel: Bestehende Ressourcen schonen, Schaden minimieren → Beispiel: Energieeinsparung, Abfallvermeidung
Kompensierende Nachhaltigkeit
Ziel: Entnommenes durch Ausgleichsmaßnahmen neutralisieren → Beispiel: CO₂-Kompensation durch Aufforstung
Regenerative Nachhaltigkeit
Ziel: Systeme aktiv wiederherstellen oder verbessern → Beispiel: Renaturierung, Kreislaufwirtschaft, soziale Resilienz stärken
Besonders der letzte Punkt ist ein zukunftsweisender und zukunftswirksamer Aspekt. Die Hilfe des Planeten bei der Regenerierung der Ressourcennutzung über Jahrhunderte. Dieser Aspekt kommt leider noch viel zu kurz. Gerade in einer Zeit, die schnelllebig ist, viele Erklärungen und Definitionen für ein besseres Verständnis benötigt, und einen technologischen Fortschrittsboom erlebt, ist eine klare, authentische und transparente Handlungsweise sowie Kommunikation notwendig.
Begriffe wie „Regenerativität“, „Zukunftswirksamkeit“ oder „Wiederaufbaukultur“ mögen sperrig klingen – doch sie ermöglichen klare Kommunikation über Ziele, Verantwortung und Wirkung. Nur mit einem differenzierten Begriffsverständnis lässt sich eine nachhaltige Zukunftsorientierung darstellen und visualisieren.
Was wir benötigen sind nun ein paar passende und kluge Begrifflichkeiten, die weniger sperrig sind und somit angenommen werden können.
Wenn Du mit deinem Unternehmen oder Deiner Organisation reflektieren möchtest, wie Deine eigene Nachhaltigkeitsstrategie sprachlich und inhaltlich geschärft werden kann, sprich mich gern an.
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